Adria über Nacht

Mit dem Zug auf den Balkan - mit neuer Nachtzug­verbindung!

Text & Fotos: Frieder Schmitz
Illustration: Stefan Hilberer
Europa wächst für Nachtreisende noch enger zusammen: Mit der neu ein­gerichteten Nachtzugverbindung von ÖBB und Slowakischer Bahn (ZSSK) wird Split im Zug leicht über Nacht erreichbar. Der Passagier entsendet einen Korrespondenten auf die Balkan-Halbinsel um von der neuen Zugstrecke Bratislava - Split zu berichten.
Mit dem Nachtzug auf den Balkan

Als ich in das Angebot des Passagiers einwillige von der neuen Nachtzug­verbindung zu berichten, hatte ich keine Vorstellung auf was ich mich da einlasse. Es ist mir auch nicht klar, warum ich für diesen Auftrag aus­gewählt wurde – sonst schreibe ich nämlich nur Rätsel­seiten. In dieser Reiseart noch etwas unerfahren, aber von Neugier gepackt, willigte ich ein. Die Vorbe­reitungen treffend bekam ich jedoch eine Ahnung, dass ich es mit Profis zu tun haben musste. Aus der Redaktion bekam ich den Ratschlag „Reise leicht“ und „sei gewappnet“. Der Auslands­dienst des Passagiers (der auch für die Rätsel-Seiten zuständig ist) schickte mich mit einer Einkaufs­liste in ein Warenhaus, um das nötigste zu besorgen, was eben diesen Grund­sätzen entspräche: Weekender und ein aufblasbares Nacken­kissen schienen mir äußerst nützlich. Der Südwester, ein Set chirurgisches Operations­besteck und das Faltboot machten mich etwas ratlos – ich erstand sie aus Pflicht­bewusstsein, und weil der Passagier die Rechnung übernehmen würde, fragte ich nicht weiter nach.

Mit dem Nachtzug auf den Balkan
Kurz vor der Abfahrt in Zürich: Der EuroNight nach Zagreb.

Mit dem Chef vom Dienst verabredete ich, dass ich am Bahnhof in Split über die Ankunft des ersten Nachtzugs von Bratislava berichten solle. Es sei eigentlich schon der zweite, der die Strecke fahren würde, aber das wäre nicht schlimm, ich solle so schreiben, als wäre es der erste. Für die erste Fahrt würde ich es nicht mehr rechtzeitig schaffen. Mein Auftrag bestand darin in Erfahrung zu bringen wie angenehm es sei mit dem Zug an die kroatische Adria-Küste zu reisen. So wurde für mich die Strecke Offenburg – Zürich – Zagreb – Split – Bratislava – Offenburg geplant.
Auf dem Weg nach Zürich, wo ich in den Nachtzug nach Zagreb steigen würde, hielt ich noch in Offenburg um mir von der Bildredaktion das Fotoe­quipment aushändigen zu lassen. Letztlich war ich viel zu schwer beladen, als dass es mir recht gewesen wäre. Die Fahrt durch bekanntes Gefilde verlief gewöhnlich, entspannt und bis ich mein Gepäck nach dem Umstieg in Basel verstaut hatte und ein kühles Pils stehend im Speise­wagen austrank, war ich schon in Zürich. Erst dort beginnt die eigentliche Reise…

Mit dem Nachtzug auf den Balkan
Unterwegs im EuroNight

Über das Glück entspannt zu reisen

Der EuroNight nach Zagreb ist ein Kooperations Zug zwischen der Öster­reichischen Bundesbahn und der Kroatischen Bahn und dement­sprechend bestehend aus Wagons beider Gesell­schaften. Es war für mich im kroatischen Teil des Zugs ein Schlafabteil reserviert, das ich alleine nutzen würde. Die Sitzbank unten, die als Bett bezogen war, ist zum Sitzen wie auch zum Liegen gleicher­maßen gemütlich. Auch wenn die Wagons des Zugs schon sicherlich einige tausend Kilometer auf den Schienen Europas unterwegs waren, so sind sie immer noch gut in Schuss – und vor allem in einem sauberen Zustand.

Der Zug setzt sich langsam in Bewegung und wenige Minuten später gleiten wir entlang des Zürichsees gen Alpen. Die am Fenster vorbei­ziehende Landschaft ergibt eine großartige Kino­vorführung, die dank des langen Sommertages zu einer mit Überlänge wird – erst hinter dem Walensee ver­schwindet die Sonne hinter den Bergen. Gibt es als Pendant zum Genre des Roadmovies, eigentlich Railmovies? Gleich nach meiner Rückkehr muss ich das mal beim Passagier anbringen… diese Strecke bietet sich jedenfalls bestens für eine filmische Inszenierung an.

Am zweiten Tag geht es dem eigentlichen Ziel meiner Mission entgegen: Split. Mit zwei Dieseltriebwagen düsen wir von der Hauptstadt durch die Berge des Kapela Gebirges runter an die Dalmatinische Küste. Auf der Fahrt sitze ich neben einem jungen Amerikaner, der gerade seinen Uni-Abschluss machte und mir erzählt, dass er mit einem Eurorail-Ticket quer durch Europa fährt. Ich zücke schnell mein Notiz­buch, dass wird die Redaktion in Offenburg spannend finden: Luke begann sein Reise in Istanbul, von der er schwärmte. Seine Fahrt wird nach dem Abstecher durch Kroatien weiter Richtung Westen gehen. Italien vielleicht. Er hat ja noch über zwei Monate Zeit per Zug Europa zu erkunden. Seine älteren Schwestern haben es ihm vorgemacht – durch sie kennt er das Eurorail-Ticket und hatte Lust es einmal selbst auszuprobieren.

Gegen 10 Uhr abends kommen wir in Split an:
in den engen Gassen der Altstadt drängen sich junge Kroaten, die es verstehen das Leben zu feiern. Da sich die Vermieterin meiner Ferien­wohnung verspätet, stürze ich mich ins Getümmel, bevor ich noch mein Gepäck ablegen kann. Mit diesem falle ich jedoch auf, komme dadurch aber schnell ins Gespräch und stelle fest, dass es ein munteres und lebens­frohes Volk ist, dem man in Split begegnet.

Mit dem Nachtzug nach Split
Begegnungen im Zug nach Split
Mein Sitznachbar Luke fährt mit dem Eurorail-Ticket zwei Monate quer durch Europa.
Bahnhof Split Kroatien
Bahnhof Split Kroatien
Dem eintreffenden Eurocity aus Bratislava wird ein großer Bahnhof bereitet.
Großes Empfangskomitee

Die Ankunft des Eurocity aus Bratislava

Am nächsten Morgen rückt nun mein eigentlicher Auftrag immer näher: Gegen 10 Uhr wird der Zug aus Bratislava erwartet. Am Bahnhof, den ich vom Vorabend schon kenne, treffe ich recht­zeitig ein, um mich in Ruhe darauf einzustellen, dass der Eurocity bald einrollt. Als ich im Schatten des Bahnhofsdachs an diesem heißen Tag stehe, um auf die Ankunft des Zugs aus Bratislava zu warten, treffen plötzlich Kamera-Teams und in dunkle Anzüge gekleidete Männer ein, die auftreten, als würden sie ein wichtiges politisches Amt begleiten. Ich erkundige mich bei einem der Kamera-Leute eines kroatischen Regionalfernseh-Senders, die ich als Zug­gefährten meiner gestrigen Fahrt aus Split wiedererkenne, unbedarft nach dem Ereignis, das eine so große Aufmerksamkeit hervorruft.

„Es wird der erste Zug aus Bratislava erwartet. Eigentlich ist es der zweite, aber er wird mit dem Empfangs­komitee heute als der erste gefeiert“, erklärt er. Ich nicke verständnisvoll. Ich, beziehungs­weise die Redaktion des Passagiers, wir sind also nicht die einzigen, die zu spät Wind von diesem Ereignis bekommen haben.
Dem eintreffenden Eurocity wird ein großer Bahnhof bereitet. Maturanten, die aus Wien anreisen und nichts ahnend in diesen Presse­rummel geraten, wird noch vor dem Aussteigen ein Mikrofon vor die Nase gehalten. Ich mache meine Bilder für die ich instruiert wurde. Interviews führt das kroatische Fernsehen für mich – ich stelle mich einfach daneben und schreibe mit.

Vom Bahnhof aus lässt sich fast nahtlos aufs Boot umsteigen, es ist lediglich eine Straße zu überqueren...
Die Plätze und Gassen Splits - hier verliert man sich gerne. Nur nicht zur Mittagszeit im Sommer.
Das Peristyl ist der zentrale Platz des Diokletian-Palasts. Setzen Sie sich durstig auf eine Stufe und warten Sie ab was passiert!
Mit dem Nachtzug nach Bratislava
Die Reise geht weiter

Inbegriff des Slow Travel

Eine halbe Stunde vor Abfahrt, stehe ich mit meiner Ausrüstung am Bahnsteig. Der Zug ist noch nicht zu sehen. Einige Passagiere haben sich ebenfalls eingefunden. Eine öster­reichische Familie hat sich neben mir postiert – die Kinder wollen von Ihren Eltern wissen, ob Ihr Auto auch mitkommt – denn die Verbindung hält auch die Möglichkeit der Auto- und Motorrad-Mitnahme bereit. Einer der Vorteile der ca. 16-stündigen Fahrt mit dem Eurocity zwischen Wien und Split (und um­gekehrt natürlich) ist nicht, dass man mit dem Zug schneller unter­wegs ist – das bei weitem nicht, denn die zahlreichen Halte und das langsame Fahren (in Kroatien werden die Signale teils noch von den Bahnwärtern per Kelle an den Halten unterwegs gegeben) erhöht die Reise­zeit gegenüber dem Auto um nahezu das doppelte. Der Vorteil besteht darin, dass man bequem chauffiert wird und einen Teil der Reisezeit im Schlaf zurückzulegt. Dazu aber gleich mehr.

Blick auf Split
Die Fahrt nach und von Split aus ist großes Kino.

Der Zug fährt ein – die Kinder sind zufrieden, denn sie erkennen gleich das Auto der Eltern, was schon längst auf den Zug verladen wurde – und kommt direkt vor uns zu stehen. Nun, wer eine 16-stündige Fahrt vor sich hat und ohnehin über einen reser­vierten Platz verfügt, wird es nicht eilig haben, endlich in den Zug und in sein Abteil gelassen zu werden. Hier drinnen ist es nochmals deutlich wärmer als auf dem Bahnsteig (das trübt die Freude über den Piccolo, den jeder Zuggast nebst ein paar Haus­schuhe als Willkommens­gruß erhält, denn das Fläschchen scheint kurz vor dem Siedepunkt zu stehen). Habe ich schon erwähnt, wie heiß es an dem Tag war? Jedenfalls scheint nicht nur bei mir, sondern auch bei allen anderen Mit­reisenden und bei den Stewards eine große Gelassen­heit einzutreten. Die Sonne neigt sich schon etwas, sodass Split jetzt in warmen Tönen angestrahlt wird – die letzten Koffer werden im Abteil verstaut. Der Zug bewegt sich gemächlich aus dem Bahnhof Split und schlängelt sich kurz darauf die Berge des Kozjak Gebirgs­massivs hinauf, wo man nochmals einen traum­haften Blick auf die Halbinsel genießt, auf der die heimliche Hauptstadt Dalmatiens liegt. Ein weiterer Film des Zugkinos beginnt: der Abschnitt, der auf der Hinfahrt nicht zu sehen, da es schon dunkel war, ist nun in warmes Sonnenlicht getaucht.

Ich beschließe jetzt meiner Pflicht für den Passagier fix nachzukommen und skizziere folgende schnelle E-Mail:

An die Redaktion des PASSAGIERs:

NACHTZUG Eurocity hervorragend. Klimaanlage funktioniert bestens nach anfänglicher Hitze. Kühles Bier vorhanden. Stewards sehr zuvorkommend.
Aussicht auf die Adria und Kozjak einzigartig. Abend­essen dürftig – sofern man Chips und Salzstangen als Abendessen bezeichnet. Bett sehr bequem, Abteil gut in Schuss und sauber. Nachtrag am nächsten Tag: Reichhaltiges Frühstück entschädigt für mangelndes Abendessen. Zugfahrt sehr angenehm und äußerst zu empfehlen. Faltboot noch nicht zum Einsatz gekommen. Bilder werden separat gesendet. Alles weitere nach Rückkehr.

P.S.: Die Nachricht wurde erst nach meiner Ankunft in Bratislava gesendet… Der Zug verfügt über kein Wifi und an ein Mobilnetz ist während der Zugfahrt auch nicht zu denken.

Der Schlafwagen ist ausgebucht, im Sitzwagen genießt ein einziger Herr, der ebenso alleine unterwegs ist, die Freiheiten der Reise. Ich stehe noch, solange es hell ist, am Gangfenster und schaue hinaus – mit dem freundlichen, slowakischen Steward unterhalte ich mich länger über die Eigenheiten des Eisenbahn­verkehrs in der Slowakei und Deutschland. Er kann nicht verstehen, dass ich so viel Gefallen an der kroatischen Landschaft finde: „Es ist doch so eintönig hier, nur Wald.“ Zum Schluß unserer Plauderei, bevor er seinen Dienst fortsetzt, bemerkt er nur, dass ich vorbereitet sein solle, wenn er heute Nacht gegen 2 Uhr die Fahrgäste weckt. Da die kroatisch-slowenische Grenze zugleich Schengen-Außengrenze sei, würden die slowenischen Grenz­beamten Kontrollen durchführen und sie seien dabei nicht zimperlich. Er berichtete, dass bereits von Zöllnern bei der Pass­kontrolle auf der ersten Fahrt versucht wurde Türen aufzutreten, nachdem diese nicht schnell genug von innen entriegelt wurden. Ich solle mir also nicht zu viel Zeit beim Aufstehen lassen.

Wie schon auf der ersten Nacht­zugfahrt von Zürich nach Zagreb schlafe ich bestens – das mag auch daran liegen, dass ich mit einem gesunden Schlaf gesegnet bin. Schließlich werde ich durch das angekündigte, energische Tür­klopfen geweckt. Ich schaffe es zügig aufzuspringen und die Tür zu öffnen. Ich bin froh als ich meinen Persona­lausweis nach gründlicher Kontrolle zurück bekomme und das Prozedere vorbei ist. Meinem Nachbar, ein Abteil weiter, ergeht es anders. Er ist nicht schnell genug wach um den Zöllnern seine Dokumente auszu­händigen… wer zu dem Zeitpunkt noch schlummerte, tat es ab diesem Moment sicher nicht mehr – und wer an der Durchsetzungs­kraft slowenischer Zöllner zweifelte, tat es von da an sicher auch nicht mehr.

Unter Kollegen

Der „letzte“ Passagier

Am nächsten Morgen werde ich wach und höre das ständige Klickgeräusch einer Kamera. Ein Kollege? – denke ich. Nach einem reichhaltigen Frühstück – es gibt hier eine erstaun­liche Auswahl an Wurst, Käse und Brötchen – erreichen wir gegen Mittag Wien, wo die Autozug­wagen wie auch die öster­reichischen Wagen ab­gekoppelt werden. Der Steward kommt zu mir und erklärt mir feierlich, ich sei der letzte Passagier bis Bratislava – ich hätte nun einen Privatzug.
Aber halt, es gäbe noch einen weiteren Fahrgast in den verbleibenden Wagons, dem ich auch kurz darauf begegne. Es ist der Fotograf. Er stellt sich als Matúš Vavrek vor und erzählt mir, dass er für die Slowakische Eisenbahn­gesellschaft ZSSK unterwegs ist und in dessen Auftrag fotografiert. Um mir einen Eindruck seiner Arbeit zu geben, zeigt er mir einen Bildband seiner Fotografien… Ui, der kann fotografieren!
Alsbald fährt der Zug über ein Viadukt, das Marchegg Viadukt.

Information zur Strecke

Zugverbindungen


Bratislava - Split

Zwei mal wöchentlich verkehren bis zum 11. September zwischen Bratislava und Split EuroNight-Nachtzüge:

EN1253:
Bratislava 15.51 – Wien 18.01 – Graz 21.01 – Split 9.50
(Nächte DI/MI und FR/SA, verkehrt von 18.6. bis 10.9.21)

EN1252:
Split 16.48 – Graz 5.29 – Wien 8.58 – Bratislava 10.49
(Nächte MI/DO und SA/SO, verkehrt von 19.6. bis 11.9.21)


Zürich - Zagreb

EN40465:
Züge fahren täglich ab Zürich 20.40 – Innsbruck 00:56 – Zagreb 10:43