Schienenkreuzfahrt „Czechoslovakia“
Vielleicht muss ich ein bisschen ausholen, um meine Begeisterung zu erklären: Ich fotografiere seit über 15 Jahren aus fahrenden Zügen. 2021, im EU Jahr der Schiene, hatte ich das Glück, mit dem Sonderzug Connecting Europe Express 13 Länder bereisen zu dürfen. Daraus entstand nicht nur meine Liebe zu langen Reisen ohne Umsteigen, sondern auch der Plan, alle Europäischen Länder mit dem Zug zu bereisen. Tschechien fehlte noch auf meiner Liste; und im Gegensatz zu allen „Schienenkreuzfahrten“, die kommerziell nur im Luxussegment angeboten werden, war diese Fahrt wirklich bezahlbar. Und so machte ich mich im Juli 2022 auf die Reise nach Tschechien, wo die Reise beginnen sollte.
6 Uhr morgens, Bahnhof Olomouc: Der Zug steht auf Gleis 1, und ich bin nicht nur gespannt, sondern auch etwas unsicher. Ich kenne hier niemanden und das veröffentlichte Programm scheint sich mit Punkten wie „Besuch im Depot“, oder „Besichtigung von Signalanlagen“ vor allem an die Technikfans unter den Eisenbahnmenschen zu richten. Mit wem werde ich mir wohl die nächsten 4 Tage mein Abteil im Liegewagen teilen?
Die drei jungen Frauen mit den Passagierlisten können mir weiterhelfen: Ich wohne mit ihnen im Abteil Nummer 4. Dort lerne ich auch Hana kennen. Sie ist in meinem Alter, reist ebenfalls allein und spricht hervorragend Englisch, was uns viele spannende Gespräche ermöglicht – über das Wandern auf zugewachsenen Schmalspurbahnen oder die Poesie von Industrieruinen. Wir verstehen uns auf Anhieb. Das sechste Bett bleibt unbelegt, was uns allen etwas mehr Freiraum ermöglicht. Trotzdem werden wir die nächsten Tage oft die Köpfe einziehen, Gepäck hin- und herräumen und auf den Gang ausweichen.
Ich bin sowieso fast ausschließlich auf dem Gang. Die Fenster lassen sich vollständig öffnen, und so kann ich mit Fahrtwind im Gesicht die bezaubernde Landschaft fotografieren, ohne dreckige Scheiben oder störende Reflektionen. Es ist Sommer und wir fahren bei schönstem Wetter durch lichte Wälder und vorbei an blühenden Wildblumenwiesen.
Gerade als ich glaube, dass es nicht besser kommen kann, kommt Hana mit Neuigkeiten aus dem Barwagen: Die Türen sind offen! Die punkige Bar ist in einem Fahrradabteil mit großen Schiebetüren untergebracht. Unser Zug ist nicht klimatisiert und die Jungs hinter der Theke arbeiten hart, um uns nahezu rund um die Uhr mit Kaffee, Snacks und Bier versorgen, daher sind die beiden Türen fast immer halb geöffnet. Was erstmal gruselig klingt ist bei unserem gemächlichen Tempo einfach nur fantastisch. Noch nie habe ich mich beim Reisen mit dem Zug so unmittelbar in der Natur gefühlt wie hier, noch nie war ich den Blumen am Wegrand so nah.
Auf dem Weg zurück durch den Schlafwagen und den unausweichlichen Stau in den engen Gängen höre ich zum ersten Mal einen Satz, an den ich mich gewöhnen könnte: „Bist du landscapeinmotion?“ Die sympathische Frau, die mich hier mit meinem Instagram-Namen anspricht, kommt mir irgendwie bekannt vor. Ich bin sicher, ich habe sie schon mal auf einem Bild gesehen, wo war das gleich… Als auch noch ihr Mann dazu kommt, dämmert es mir langsam. „Seid ihr etwa Der Passagier?“
Auch wenn ich noch viel über diese wunderbare Reise erzählen könnte, ist hier der perfekte Zeitpunkt, um den Staffelstab weiter zu reichen.
Jennifer Scales ist Fotografin und treue Passagier-Leserin. Erfahren Sie mehr über ihre Arbeit als Fotografin.
Im Sonderzug durch den slowakischen Sommer
Text & Fotos: Adrian Dinser
Am frühen Abend des 13. Juli treffen wir mit dem Regionalzug in Benešov, in Mittelböhmen ein. Dieser tschechische Verkehrsknotenpunkt ist eine Zugstunde südöstlich von Prag entfernt und der Ausgangspunkt für unsere viertägige Schienenkreuzfahrt durch die Slowakei. Mit einer Handvoll Teilnehmer beginnt hier die Überführungsfahrt durch die tschechische Nacht bis nach Olmouc (Olmütz), an der tschechisch-slowakischen Grenzen, wo die eigentliche Reise beginnt.
Der Zug besteht aus Schlaf-, Liege- und Sitzwagen, sowie einem Barwagen und steht schon in zweiter Reihe auf einem Abstellgleis bereit. Der Veranstalter dieser Reise ist ein 19jähriger Musikstudent, Bernat Izard, der diese Fahrt mit viel Leidenschaft, Mut und Verrücktheit organisierte. Er steht am benachbarten Bahnsteig und begrüßt seine Passagiere herzlich per Handschlag. Nach einem kurzen Plausch mit Bernat klettern wir runter ins Gleisbett, um dann über ein Trittleiterchen, wie man es gern zum Fensterputzen verwendet, in den Zug zu steigen. Das Erklimmen des blau-weißen Wagons, bepackt mit Umhängetasche und Rucksack ist ein Balanceakt. Doch erfolgreich ziehe ich mich an den Haltegriffen hoch und bin begeistert darüber, was ich nun sehe. Der Wagon ist Ende der 70er Jahre gebaut worden und katapultiert mich augenblicklich in eine andere Zeit. Nostalgie pur springt mir entgegen: Ein rot gemusterter Teppich im Gang, Schiebefenster, die sich öffnen lassen, Stoffvorhänge und eine Einrichtung, die mit hellem Holz furniert ist, verbreiten eine gemütliche Atmosphäre. Ich fühle mich sofort wohl und freue mich auf das Erlebnis in diesem Zug reisen zu dürfen, dass vielen nur noch aus Ihrer Erinnerung früherer Jahrzehnte bekannt ist.
Nostalgie trifft Barwagen
Wir beziehen unser Schlafwagenabteil, eine Dreierkabine und lernen einige Nachbarn kennen. In der Kabine neben uns begrüßen wir drei tschechische Männer. Sie führen alle Teleobjektive mit sich, die notfalls auch zur Selbstverteidigung dienen würden. Sie scherzen, mehr oder weniger: „Endlich mal weg von unseren Familien!“. Nicht nur sie, sondern auch ein beachtlicher Teil der Mitreisenden, wie wir in den kommenden Tagen beobachten, widmen sich mit Leidenschaft der Eisenbahnfotografie.
Nachdem wir ausgepackt haben, schlendern wir neugierig den Zug. „Lass uns zum Barwagen gehen“, schlage ich meiner Begleiterin vor. Der Barwagen befindet sich gleich hinter der Lok. Schon die Vorankündigung im Programm ließ unser Herz höherschlagen. Wir erwarteten Tischlämpchen, weiß gestärkte Tischdecken, gepolsterte Sitznischen, Plüsch, Jazzmusik und bequeme Sessel. So ein bisschen Mitropa-Flair, wenn Sie verstehen, was ich meine.
Doch als wir im Barwagen stehen, fühlte ich mich eher wie in einem Lagerraum einer Brauerei. Es ist ein Gepäckwagon. Darin eine eingebaute Bar mit Zapfhahn, profane Bierbankgarnituren, Plakate an den Wänden und grob gezählt 30 Bierfässer – das ist das Interieur. Später erfahren wir, dass der Barwagen tatsächlich noch im Regelbetrieb der tschechischen Eisenbahn fährt. Wir bestellen dennoch sofort zwei Bier beim Barmann und lernen zwei Tschechen kennen, beide um die 40, die mit Biergläsern an der offenen Schiebetür stehen. Recht schnell stellen wir im Gespräch mit ihnen fest, dass ihre Beweggründe an der Sonderfahrt teilzunehmen der Barwagen ist. Denn in diesem hörten sie vor einigen Wochen von dieser Kreuzfahrt, zu der sie sich kurzerhand noch angemeldet haben. Nach einem Glas Postrizinské Pivo ziehen wir uns in unser Abteil zurück. Die vergangene Nachtfahrt, mit 10 Stunden im Sitzwagen (wir schwören uns, nie wieder Sitzwagen zu buchen) steckt uns noch in den Knochen. Gegen halb Neun rollt der Zug aus dem Bahnhof in die Dämmerung hinein. Über dem Horizont taucht ein riesiger Blutmond auf – wir staunen, verweilen noch ein bisschen am offenen Fenster und lassen uns die warme Sommerluft um die Nase wehen. Dann fallen wir müde in die Betten und in einen tiefen Schlaf, während der Zug mit einem gleichmäßigen Rattern durch die Nacht rollt.
Adrian Dinser ist Herausgeber des Passagier.
Sonnenblumenfelder und ein Haufen liebenswürdiger Freaks
Text: Karina Dinser-Nennstiel | Fotos: Adrian Dinser
Die Sonne hat soeben den Tag wachgeküsst, als der Zug den Hauptbahnhof Olmouc, nahe der slowakischen Grenze, erreicht. Hier ist der offizielle Start unserer Fahrt, wo auch unser slowakischer Freund Matúš Vavrek einsteigt, der schon einige Fotos für den Passagier aufgenommen hat. Mit ihm teilen wir unser Abteil und ich bete schon die ganze Zeit, dass er hoffentlich kein Schnarcher ist. Im Gang des Schlafwagens hängt eine Zugstreckenkarte von der Slowakei, vor der ich in den nächsten Tagen oft stehe und mir anschaue, wo wir gerade unterwegs sind. Zunächst geht es in den Südosten nach Banská Štiavnica, dessen Altstadt eine der schönsten in der Slowakei sein soll und UNESCO-Weltkulturerbe ist. Auf dem Weg dorthin, ich stehe gerade im Gang und lasse die am Fenster vorbeiziehende Landschaft mit den vielen gelben Sonnenblumenfeldern auf mich wirken, läuft Jennifer von landscapeinmotion vorbei, die ich direkt anspreche. Sie freut sich, dass ich sie erkannt habe und recht fix kombiniert sie, dass wir vom Passagier sind.
Über Nacht steht der Zug am verlassenen Bahnhofsgebäude am Ortsrand von Banská Štiavnica, das ein bisschen Lost Places-Charme versprüht. Während einige aus der Gruppe lieber im Hotel schlafen, nächtigen wir natürlich im Zug und möchten diese Möglichkeit voll auskosten. Dass bedeutet zwar auch vier Nächte keine Dusche, aber es gibt Strom und Wasser im Schlafabteil und ich habe Waschlappen und Trockenshampoo eingepackt. Am nächsten Tag führt die Strecke ostwärts, nach Humenné, nachmittags dann in Richtung Ostkarparten, nach Medzilaborce, wo der Zug für die zweite Nacht parkt.
Pop Art-Kunst mitten in der Pampa
Wussten Sie, dass in Medzilaborce eines von zwei Wahrhol-Museen ansässig ist? (Pop Art Künstler Andy Warhol; 1928–1987). Andy Warhols Eltern stammen von hier, aus einer kleinen Nachbargemeinde. 1991 wurde auf Initiative von Andy Warhols Brüdern das Museum eröffnet. Leider werden wir es nicht besuchen können – wir kommen erst abends am Bahnhof an, als alles schon geschlossen hat und werden am nächsten Morgen noch vor Öffnung des Museums in Richtung Polen weiterfahren. Ja richtig, wir machen mit dem Zug noch einen kurzen Abstecher durch einen Tunnel nach Łupków, danach geht es wieder zurück in die Slowakei. Einer der zahlreichen Eisenbahnenthusiasten erklärt uns die Bedeutung des Tunnels nach Polen: Es ist nämlich der einzige Eisenbahn-Grenztunnel Europas, die Grenze zwischen der Slowakei und Polen verläuft genau in der Mitte des Tunnels. Da es sich um eine nichtbefahrene Nebenstrecke handelt, hält der Zug genau an dieser Stelle im Tunnel, um den begeisterten Fotografen an Bord Bilder im und vor dem Tunnel zu ermöglichen.
Streifzug durchs Paradies
Die Fahrt geht weiter zum bekannten Wintersportort Telgárt, in der Niederen Tatra, das jedem begeisterten Eisenbahnreisenden in der Slowakei bekannt ist. Unterwegs dorthin streifen wir den Nationalpark Slowakisches Paradies und springen in Dedinky in den Stausee Palcmanksá Maša – einige aus dem Zug tun es uns gleich und genießen das erfrischende Bad in knapp 800 m Höhe. Nach einer Nacht in Telgart fährt der Zug dann am letzten Reisetag zurück nach Prag hlavní nádraží, wo der Zug übrigens noch vor der Zeit eintrifft. Nach unzähligen Fotopausen (Fotopausen sind die neuen Zigarettenpausen) bei denen schnell vom Zug gesprungen wird (die jüngeren „Pufferknutscher“ sogar in Adiletten!), sind wir am Ende erleichtert und etwas erstaunt, dass sich niemand einen Knöchel verstaucht hat oder wir versehentlich jemanden zurückgelassen haben. Leicht hätte es auch anders kommen können.
Das Zugreisen ein wunderbares Medium ist, um neue Bekanntschaften zu schließen, habe ich schon öfter erlebt und trägt auch dieses Mal dazu bei, dass ich mich so gern an diese außergewöhnliche Schienenkreuzfahrt zurückerinnere. Die unterschiedlichen Charaktere, die in diesem Zug bunt zusammengewürfelt aufeinandertrafen, haben die Fahrt für mich bereichert und zu einem besonderen Erlebnis gemacht.
Karina Dinser-Nennstiel ist treue Begleiterin des Passagiers und fleißige Illustratorin.
Zugabenteuer durch die Slowakei
Text & Fotos: Matúš Vavrek
Diesen Sommer machte ich mich auf eine viertägige Reise durch die Slowakei. Eine Reise, die meine hohen Erwartungen allesamt übertraf.
In Olomouc beginnt das Abenteuer für mich. Mit an Bord sind Adrian und Karina vom Passagier und die Fotografin Jennifer Scales, die bereits eine längere Strecke von Benešov zurückgelegt hatten. Unsere Fahrt führt uns durch beeindruckende Landschaften und vorbei an unzähligen Schlössern, die wir vom offenen Zugfenster aus betrachten.
Als gebürtiger Slowake nutze ich meinen Heimvorteil aus, um meinen mitreisenden Freunden etwas vom Land und den Städten, die wir durchqueren, zu zeigen. Am ersten Tag unserer gemeinsamen Reise machen wir Halt in Prievidza, um von dort aus einer verlassenen Route nach Nitrianske Pravno zu folgen. Auf dem Rückweg wählen wir eine Strecke über den „Slowakischen Semmering“ in eine der schönsten Städte der Slowakei: Banská Štiavnica. Wie erkunden die Stadt und bleiben dort für eine Nacht.
Am nächsten Tag durchfahren wir mit dem Zug den 642 Meter langen Tunnel von Lupkovsky. Nach einer kurzen Fahrt ins angrenzende Nachbarland Polen führt uns unsere Reise weiter nach Medzilaborce. Die Stadt kenne ich besonders gut – 20 Jahre habe ich in Medzilaborce gelebt – uns so führe ich meine Freunde für eine Sightseeingtour durch die Straßen der Stadt. Auch hier, in meinem alten Wohnort verbringen wir eine Nacht, um am nächsten Tag unsere Fahrt in Richtung Telgárt in der Niederen Tatra fortzusetzen.
Als krönenden Abschluss dieser Fahrt überqueren wir mein Lieblingsviadukt Chmarošský, bevor ich mich in Trenčín von Karina, Jennifer und Adrian verabschiede und den Zug nach dieser eindrucksvollen Reise verlasse.