Bahnwandern am Semmering
Es geht zunächst oberhalb des Bahnhofsgebäudes los in die Richtung, aus der wir mit dem Zug von Payerbach-Reichenau gekommen sind. Etwas oberhalb der Gleise mit Blick auf Bahnsteig 1 wandern wir los. Nach einigen hundert Metern unterquert der Weg die Bahnstrecke und man kann die Trasse teilweise von unten sehen.
Dann, nach insgesamt ca. 20-30 Minuten Gehzeit, erreichen wir die Haltestelle Wolfsbergkogel. Wer nicht viel Zeit hat, kann hier schon wieder in einen Regionalzug einteigen, aber eigentlich geht die Wanderung hier erst richtig los. Die Bahn verschwindet wieder in einem Tunnel und der Wanderweg führt durch die kleine Ortschaft, es ist der Teil von Semmering, an dem sich der Mythos und die Geschichte des Ortes erkennen lässt. Versprengt sieht man hier überall prunkvolle Villen, die von einer anderen Zeit erzählen. Einer Zeit, als der Semmering das Sommerfrische-Ziel der Wiener Gesellschaft war. Hochadel, Industrielle, Wissenschaftler oder auch Künstler fanden hier Erholung oder Inspiration. Die Anreise war dank der Bahn von Wien aus unkompliziert. Heute sieht ein Teil dieser historischen Gebäude verfallen aus, oder zumindest nicht mehr liebevoll gepflegt. Andere sind auf dem Weg dahin, wieder in altem Glanze zu erstrahlen.
Ein Ort, der nicht erfunden werden muss
Text: Adrian Dinser | Fotos: Matúš Vavrek
Mondäner Kurort, Eisenbahnstrecke, Passhöhe zwischen Niederösterreich und der Steiermark, UNESCO-Weltkulturerbe – und vor allem eine Legende, die Eisenbahnfreunde und Nostalgiereisende schon längst kennen. Der Passagier begab sich auf den Weg, um endlich Bekanntschaft mit Semmering zu machen.
Mit Fotograf Matúš Vavrek steige ich morgens in Wien in den EuroCity Emona. Ein wahrhaft besonderer Zug – nicht nur wegen seines legendären Speisewagens (Der Passagier schwärmte davon in Ausgabe 3), sondern auch wegen der einmaligen Route gen Süden bis nach Triest. Unser heutiges Ziel liegt eine Stunde südwestlich von Wien: Semmering. Ich möchte herausfinden, was diesen Ort, von dem ich bereits so viel Spannendes und Großartiges gehört habe, so faszinierend macht.
Zauber der Grandhotels
Mit der Fertigstellung der Semmeringbahn im Jahr 1854 erlebte der Ort seinen ersten Aufschwung. Sogenannte »Vergnügungszügler« machten sich auf den Weg über den Semmering. Der damalige Zeitgeist, die Literatur und Malerei der Romantik ebneten den Weg.
Die Villenkolonie
Zur gleichen Zeit entstanden zahlreiche Villen sowie kleinere Hotels und Pensionen entlang der Flaniermeile und der sogenannten Villenstraße. Es gab einen Cottage-Boom: Wohlhabende Städter trieb es in die Berge, wo sie sich ein Landhaus errichten ließen.
Die goldene Ära des Semmering
Der auf 985 Metern Höhe liegende Luftkurort Semmering übte seinerzeit nicht nur auf die Hocharistokratie eine starke Anziehungskraft aus, sondern auch auf Industrielle und hohe Beamte – kurz: das Publikum der Wiener Ringstraße. Die Belle Époque war die goldene Ära des Semmering…
Die ganze Geschichte lesen Sie in Ausgabe 4,
die Sie hier bestellen können.
Vorbei an der Institution Kurhaus
Auch das große Semmering-Kurhaus, an dem der Weg wenig später vorbeiführt, wirkt von außen verwaist und etwas sanierungsbedürftig. Ein Hotelier aus Graz hat das Gebäude jedoch Ende 2019 erworben und möchte es als Hotel wiederbeleben.
Am Kurhaus vorbei, führt der Weg geradewegs auf einen beeindruck-enden Aussichtspunkt zu: Die Doppelreiterwarte. Dabei handelt es sich um einen hölzernen Aussichtsturm, von dem man einen unglaublich beeindruckenden Blick auf die Landschaft und die Strecke hat.
Der Blick fällt direkt auf die Weinzettelwand-Galerien, die beinahe gegenüber der Aussichtswarte liegen. Weiter links kann man dagegen schon Breitenstein mit dem Bahnhof erkennen, der das Ziel unserer Wanderung ist. Von hier sind es (schnellen Schrittes) noch ca. 1 ½ – 2 Stunden, bis man dort ankommt. Die Zeitangaben auf den Wanderschildern sind etwas höher.
Weiter geht es auf dem Wanderweg mit Blick ins Tal. Das nächste Highlight ist das Adlitzgraben-Viadukt. Man unterquert hier die Strecke und erklimmt dann den Berg neben dem Viadukt. Dabei verläuft der weitere Weg oberhalb der Strecke mit einem schönen Blick auf die Strecke und im besten Fall auf gerade vorbeifahrende Züge. Ein paar hundert Meter geht es nun oben neben der Strecke weiter, dann schwenkt der Wanderweg kurz nach links und man hat keinen Blick auf die Bahntrasse. Diesen Blick bekommt man aber nach kurzer Zeit wieder, sobald der Wanderweg steil nach unten führt.
Es geht vorbei an einem einsamen Haus, das hier in der Landschaft steht: Es ist das Haus, in dem sich das Ghega-Muesum befindet, das dem Erbauer der Semmeringbahn gewidmet ist. Dahinter ist das beeindruckende Kalte-Rinne-Viadukt zu sehen. Vielleicht das bekannteste Viadukt der Semmeringbahn, denn es ist doppelstöckig, das heißt, es gibt zwei Reihen an Viaduktbögen übereinander. Auch dieses Viadukt unterquert der Wanderweg.
Am Berg entlang oder durchs Tal?
Nun gibt es zwei Möglichkeiten: Wer es eilig hat und wenn einem der Fahrplan des nächsten Regionalzuges im Nacken sitzt, der läuft direkt auf der kaum befahrenen asphaltierten Straße im Talboden weiter Richtung Breitenstein. Zu empfehlen ist aber noch ein weiterer kleiner Umweg, in gleicher Richtung, aber am Berghang.
Neben dem Viadukt steigt man steil bergauf, bis man etwa auf Höhe der Bahntrasse ist. Diese verläuft hier im gut 300 m langen Polleros-Tunnel. Vorbei geht es an zwei „Tunnelfenstern“, die beim Bau des Tunnels als Arbeitsstollen genutzt wurden. Der Zugang ist leider wegen Steinschlaggefahr gesperrt, darauf weisen Schilder hin. Offenbar war es hier ursprünglich möglich, etwas in den Tunnel hineinzuwandern.
Weiter geht es parallel zur Trasse bis zu der Stelle, an der der Tunnel endet. Hier hat man einen beeindruckenden Blich auf das Portal und das Krausel-Klause-Viadukt und den dahinter liegenden kleinen Krausel-Tunnel. Am Viadukt führt ein steiler Steig wieder bergab auf die Straße im Talboden.
Ankunft in Breitenstein
Die letzten paar hundert Meter läuft man nun auf dieser Straße, passiert das Ortsschild von Breitenstein und dann geht es noch ein letztes Mal wieder bergauf zur Bahntrasse, durch den verschlafenen kleinen Ort, vorbei am Feuerwehrhaus und am Gemeindeamt, um dann den Bahnhof zu erreichen. Es wirkt verlassen, aber im Bahnhofsgebäude gibt es für kühle Tage einen sauberen und gepflegten Warteraum.
Eigentlich hat man Glück, wenn man zeitlich gesehen so am Bahnhof ankommt, dass bis zur Abfahrt des nächsten Regionalzuges noch ein bisschen Zeit ist. So kann man die vorbeifahrenden Güter- und Fernverkehrszüge beobachten und hört zwischendurch einen Bergbach fließen – idyllisch! Apropos hören: Durch den Streckenverlauf der Semmeringbahn hört man talfahrende Züge hier in Breitenstein recht frühzeitig, da sie dann noch am gegenüberliegenden Hang fahren. Dann verschwinden sie auch akustisch in den Seitentälern und Tunnels, sind teilweise zwischendurch wieder zu hören und dann wieder gar nicht, obwohl der Zug immer näher kommt. Das ist auch ein spannendes akustisches Erlebnis.
Irgendwann endet dann auch der schönste Aufenthalt auf einem solch idyllisch gelegenen Bahnhof und es geht mit dem Regionalzug wieder zurück nach Semmering.
Lesen Sie mehr über den Ort und den Mythos Semmering in:
„Der Passagier“ Ausgabe 4 – Sommerfrische
Über den Autor
Den Wahl-Kölner Niklas Hoth darf man zweifelsohne einen erfahrenen Zugreisenden nennen. Wenn Niklas Hoth nicht mit dem Zug reist, arbeitet der ausgebildete Journalist für den Radiosender WDR2. Auf seinem Blog www.auf-schiene.de berichtet er regelmäßig von seinen zahlreichen spannenden Reisen auf Schienen.