Im Land der aufgehenden Sonne

Speisen auf Reisen: Japan

Text & Fotos: Katrin May
Frühling in Japan: Die Kirschblüte setzt ein und das Land erwacht aus der Pandemie-Starre. Die Lockerungen der Reise-Auflagen lassen den Tourismus wieder aufleben. Vieles hat sich verändert, vieles ist vertraut.
Japanische Küche

Zuverlässig wie immer fährt der Shinkansen in der Tokyo Station ein und die Türen öffnen sich exakt an der Stelle mit der vorgesehenen Markierung. Eine Japan-Reise ohne Fahrt mit dem Bullet Train? Undenkbar. Abgesehen davon, dass es Dank Japan Rail Pass die günstigste und bequemste Option ist, um das Land zu bereisen, würde man sonst ein großes Stück japanische Kultur verpassen:
Zugfahren in Japan ist ein echtes Erlebnis.

Shinkansen Japan
Futuristisch mutet der Shinkansen an. Die Hochgeschwindigkeitszüge gleiten mit bis zu 320 km/h durch Japan. Schon das Einsteigen am Bahnsteig ist ein Erlebnis.

Städteverbindung

Die japanischen Züge sind so pünktlich, dass man die Uhr nach ihnen stellen kann. Man sollte also genug Zeit einplanen, um Proviant zu kaufen und zum Bahnsteig zu kommen. Doch mit dem Einsteigen und Losfahren wird es in meinem Fall zunächst nichts: Ich habe die neue Japan Rail Pass-Version gewählt, bei der man Sitzplätze online reservieren kann. Leider gilt die Bestätigungsmail allein nicht, man muss am Automaten Reservierungs­tickets ausdrucken. Ein Fall von Digitalisierung, die nicht konsequent bis zum Ende durchgezogen wurde. Der natürlich pünktlich abfahrende Shinkansen fährt ohne mich, ich muss zum Serviceschalter – und mich in japanischer Geduld üben.

Kurze Zeit später und mit Papierticket für die Sitzplatzreservierung ausgestattet steige ich in den nächsten Zug. Gut, dass es alle paar Minuten eine Shinkansen-Verbindung gibt! Musik ertönt und man könnte meinen, man sei bei Starlight Express, die Zugtüren schließen, das Personal dienert und los geht’s. Alles perfekt durchorganisiert, bis ins kleinste Detail, eine vertraute Zeremonie: Beim Betreten und Verlassen des Abteils macht das Personal tiefe Verbeugungen, zu Beginn der Fahrt werden feuchte Reinigungstücher an die Passagiere verteilt. Elegant gleitet der Shinkansen mit fast 300 km/h durch das Land, Landschaftskino inklusive. Nur Mount Fuji spielt wie so oft nicht mit und bleibt im Wolkenfeld versteckt. Das restliche Zug-Erlebnis ist wie immer in Japan:
höflich, pünktlich, sauber und bequem.

Nur einen Speise- oder Barwagen sucht man im Shinkansen vergeblich, doch Speisen auf Reisen kommt auch hier nicht zu kurz: Das Personal fährt regelmäßig mit Service Trolleys durch den Zug und verkauft Snacks und Getränke. Viel üblicher ist es jedoch, sich am Bahnhof seine Verpflegung zu kaufen – entweder an einem der Snack- und Getränke-Automaten oder am Kiosk. Sozusagen Pflicht-Verpflegung für die Shinkansen-Fahrt ist eine Ekiben-Lunchbox: aufwändig gestaltete Kästchen aus Holz oder Kunststoff mit Unterteilungen, die Reisbällchen, Sushi oder auch lokale Spezialitäten separieren. So komme ich nach 3 h Zugfahrt satt und zufrieden in Kyoto, der einstigen japanischen Hauptstadt, an.

Bento-Box Japan
Als Ekiben oder Bento-Box bezeichnet man die japanische Lunchboxen, die am Bahnhof angeboten werden und auf keiner Zugfahrt fehlen sollten.
Miyajima Japan
Die Insel Miyajima liegt in der Bucht von Hiroshima und wird auch als Schrein-Insel bezeichnet.
Marine Liner Japan
Der Marine Liner fährt zwischen Okayama auf dem Festland und Takamatsu (auf der Insel Shikoku), über die Seto-Ohashi Brücke.

Inselhopping

Nach dem Trubel in Tokio und Kyoto tausche ich Stadt- gegen Inselleben. Ein Zwischenstopp zum Wandern auf der Insel Miyajima, für den ich das Verkehrsmittel switche: Nur eine kurze Zugfahrt von Hiroshima entfernt legt in Miyajimaguchi die Fähre ab, die ebenfalls mit dem Japan Rail Pass nutzbar ist. Am Insel-Pier begrüßt mich der Geruch der lokalen Spezialitäten: gegrillte Austern und frisches Gebäck in Ahornblattform, gefüllt mit süßer Bohnenpaste. Doch mein Lieblingsgericht hier gibt es bei Sarasvati, wo man Spaghetti mit Muschelragout und warmen Austern serviert, Yuzu Soda und zum Nachtisch hausgemachte Kaffee-Spezialitäten. Oishii! Lecker!

Geweckt vom Brummen der Fischkutter sitze ich am nächsten Morgen beim Frühstück und blicke erst auf die hungrige Karawane der als Götterboten geltenden Rehe im Vorgarten, dann auf den Krautsalat vor mir, dessen „Augen“ mich anstarren: kleine gläserne Fischchen. Meine Sehnsucht nach einem Nutella-Brot zum Frühstück ist riesig. Gibt’s hier aber nicht. Dafür wunderbare Aussicht aufs Meer und als Souvenir den Kauf eines Secondhand-Kimonos. Damit im Gepäck geht’s zum Bus, der um halb abfährt, so zumindest der Plan. Ab fünf Minuten davor schaut der Fahrer nervös auf die Uhr, eine Minute vorher schließen die Türen. Als Fan der akademischen Viertelstunde treibt mich diese Überpünktlichkeit hier manchmal in den Wahnsinn. Die Crew von der Rezeption dienert und winkt uns nach, wir im Bus lächeln, danken und dienern in Endlosschleife.

Auf der Überfahrt mit der Fähre genieße ich die wunderschöne Kulisse mit Mount Misen und dem großen roten Torii im Wasser, bevor es vom Bahnhof Miyajimaguchi mit der Regionalbahn zurück nach Hiroshima geht, wo ich in den Shinkansen umsteige – passend zur Kirschblüten-Zeit ein sog. Sakura Superexpress. Ab Okayama geht es mit dem Marine Liner über die Seto-Brücke von der Hauptinsel Honshu auf die Insel Shikoku. Dazwischen ist Zeit für ein kurzes Sushi-Picknick vom Bahnhofskiosk.

Joy Train Japan
Die Japaner lieben Farben wie man den Joyful Trains sofort ansieht.

Am Bahnhof von Takamatsu angekommen lasse ich mir bestätigen, dass der Japan Rail Pass auch für die Yosan Line Richtung Matsuyama gültig ist und mache mich auf zum Bahnsteig – in der Erwartung eines unspektakulären Regionalzugs. Und erwische einen der sog. Joyful Trains: Der farbenfrohe Anpanman Train mit Manga- und Anime-Charakteren sieht aus wie ein Zirkuszug und klingt auch wie einer. Bei jeder Durchsage wird lustiges Gedudel abgespielt. Nochmal ein Level mehr als beim Shinkansen, wenn bei der Abfahrt diese Musik, die mich an Starlight Express erinnert, ertönt. Japan liebt es bunt, laut und blinkend – am besten mit Maskottchen. Für mich Reizüberflutung, hier ist man dagegen entzückt und findet es Kawaii (süß/niedlich). Immerhin muss man für den Anpanman Train nicht spezielle Tickets im Vorfeld reservieren – ganz anders bei anderen Joyful Trains-Themenzügen wie z. B. dem begehrten pinkfarbenen Hello Kitty Shinkansen.

Foto: Colton Jones
Japan Karte Illustration

Railday

Auf dem Rückweg von der Shikoku-Insel auf die Honshu-Hauptinsel geht es gen Norden in die japanischen Alpen. Früh am Morgen breche ich auf, ein langer Reisetag wartet. Der Plan: Von Takamatsu per Marine Liner nach Okayama, per Shinkansen – mit Umstieg in Shizuoka – nach Odawara, mit der Hakone Tozan Line nach Hakone-Yumoto und per Bus zur Unterkunft. Insgesamt werde ich rund 7 h unterwegs sein.

Dass das zuverlässig und ohne Verzögerungen funktioniert, hat mir bereits eine Zugfahrt von Kyushu, der südwestlichsten Hauptinsel, nach Tokio bewiesen: Die fast 1.000 km zwischen Kagoshima, dem südlichsten Shinkansen-Haltepunkt, und der Hauptstadt bewältigt der Shinkansen in unter 7 h. Dieses Mal hat die Route mehr Umsteige-verbindungen parat, aber dass selbst das reibungslos ablaufen wird, liegt am japanischen System: Alles ist pünktlich und perfekt organisiert, keine Gleiswechsel oder Änderungen in der Wagenreihenfolge – das komplette Gegenteil des deutschen Zugverkehrs.

Mit dem Zug durch Japan

Bei Abfahrt werde ich erneut Zeugin dieser Choreografie: Auf dem Bahngleis stehen die Passagiere geordnet auf den Boden-Markierungen an. Der Zug fährt ein, das Bahnpersonal verbeugt sich tief, die Fahrgäste steigen aus, der Reinigungstrupp fegt in Windeseile durch, die Sitzreihung wird umgekehrt, sodass alle in Fahrtrichtung sitzen, die Fahrgäste steigen ein. Alles perfekt einstudiert. Die Markierungen sind übrigens ein tolles Feature, das ich mir zuhause wünschen würde, denn sie zeigen die Wagenreihung, -nummern etc. sowie die Position der Zugtüren exakt an, was sehr hilfreich ist. Kein Wagenreihungs- und Anzeigenchaos…

Aussicht auf das Seto-Binnenmeer Japan
Beeindruckend ist die Aussicht auf das Seto-Binnenmeer, die ich gemütlich von meinem Sitz aus genieße.

Im Gegensatz zur Hinfahrt habe ich Sitzplätze im oberen Teil des doppelstöckigen Wagens reserviert, sodass ich während der einstündigen Fahrt über das Seto-Binnenmeer die beeindruckende Aussicht und das Frühstück aus Matcha Latte und Mandelhörnchen, das ich in der Bahnhofsbäckerei erstanden habe, genieße.

In Okayama nutze ich die Umsteigezeit und decke mich mit Ekiben ein, den Bento-Boxen mit Sushi & Co. Ich kann nicht widerstehen und nehme eine der Varianten für Kinder, die eine Verpackung in Zugform haben und die es als Sammel-Edition gibt (klassischer Shinkansen, Hello Kitty Shinkansen, Güterwaggon…). Die Dame am Kiosk preist mir alle an, aber danke, wir wollen nicht übertreiben. Die Zugfahrt ist wieder unterhaltsames Landschaftskino, auf der linken Zugseite sitzend kann ich auf der Durchreise das Himeji Castle sehen und nachdem ich den leckeren Inhalt meiner Lunchbox verspeist habe, nutze ich die Zeit und das gute Zug-Wlan, um zu arbeiten.

Bento-Boxen Sammel-Edition
Die Bento-Boxen gibt es sogar als Sammel-Edition in Zugform – auch für große Kinder.

Nach dem Umstieg in Shizuoka, bei dem man bequemerweise auf dem gleichen Bahnsteig bleiben kann, geht es recht schnell, keine Dreiviertelstunde Fahrt mit dem Shinkansen und ich bin in Odawara.
Dort ist es mit der Ruhe schlagartig vorbei. Hatte ich morgens in Takamatsu noch den Eindruck, mit Shikoku eine eher weniger (massen‑)touristische Region Japans kennengelernt zu haben, ist Odawara das Gegenteil. Am Bahnhof wimmelt es von Reisegruppen. Ich löse Tickets nach Hakone-Yumoto, da diese Zugstrecke nicht vom Japan Rail Pass abgedeckt wird, und nehme die nächste Hakone Tozan-Verbindung. Am Zielbahnhof ist die Hölle los, spontan beschließe ich, nicht auf den Bus zu warten, sondern ein Taxi zu nehmen. Reiseluxus, der gerade richtig kommt und mich nur ca. 4 EUR mehr kostet (exakt dieser Betrag, denn Trinkgeldkultur gibt’s hier nicht). Dafür bin ich wenige Minuten später entspannt in meiner Unterkunft.

All you can travel

Ausgeruht und ohne Gepäck steige ich am nächsten Morgen mit dem Hakone Freepass, mit dem hier die meisten Verkehrsmittel nutzen kann, in die Hakone-Tozan-Bergbahn, die über mehrere Spitzkehren bergauf kriecht, ein Gefühl wie in der Schweiz. Nicht von ungefähr, denn die Rhätische Bahn ist die Partner- bzw. Schwesterbahn, wie Werbeposter stolz verkünden. In Gora steige ich um in die Standseilbahn nach Sounzan, wo es weiter in die Luftseilbahn geht – das dritte Verkehrsmittel für heute und langsam wäre eine Pause gut, zumal ich bis auf den Orangensaft aus dem Bahnhofsautomaten noch nichts gefrühstückt habe.

Erst geht weiter bergauf und ich genieße den Blick aus der Gondel. Über der letzten Kuppe vor der Bergstation entfährt allen ein bewunderndes Wow: Vor uns öffnet sich das vulkanische Tal, Owakudani. Der Schwefelgeruch ist stark, der Krater unter uns leuchtend gelb gefärbt, dampfende Gaswolken steigen empor. Die Kulisse ist so unglaublich beein-druckend, dass Mount Fuji im Hintergrund trotz seiner Größe kurz in Vergessenheit gerät.

An der Bergstation ist es auf gut über 1.000 m Höhe trotz Sonne recht ungemütlich: Der Wind bläst und der Schwefelgeruch ist stechend. In den Shops und Restaurants wollen fast alle nur das eine: die schwarzen Eier (Kuro-Tamago), die in den heißen Quellen gekocht werden und von denen man glaubt, dass sie bei Verzehr sieben Jahre Leben mehr schenken. Zurück zur Seilbahn, runter zum Ashi-See wo es aufs vierte Verkehrsmittel für heute geht: ein (Piraten-)Schiff. Während der Überfahrt komme ich endlich in den Genuss von Kaffee und Keksen. Aber es kommt noch besser: Angekommen in Moto-Hakone bietet Bakery & Table Aussicht auf den See, Fußbad auf der Außenterrasse, Matcha Latte und Leckereien wie Feige-Walnuss-Brot, Spinat-Krabben-Gebäck und Früchtebrot… mmh!

Gestärkt und mit Proviant im Gepäck wandere ich über die „alte Straße von Hakone“, ehemals ein Teil der Tokaido-Fernstraße, eine der wichtigsten Post- und Handelsstraßen aus der Edo-Zeit, zurück nach Hakone-Yumoto. Umgeben von Zedern-Wald liegt teils noch das alte Pflaster, ein Meer aus ungleichen Steinblöcken. An vielen Stellen sehr rutschig, unbequem und langsam zu gehen. Nach dem Wechsel zu Waldweg mit Bambus-Saum erreiche ich das Teehaus bzw. die ehemalige Pilgerherberge Amazake-chaya, wo man eine Teepause einlegen kann, bevor man den restlichen Weg in Angriff nimmt – oder alternativ in den Bus steigt. Rechtzeitig vor Sonnenuntergang komme ich an. Ziemlich müde. Ziemlich zufrieden. Bereit für eine große Portion Soba-Nudeln mit grünem Tee bei Hatsuhana und ein entspanntes Onsen-Bad, bevor mich der Shinkansen wieder zurück in den Großstadttrubel Tokios bringt.

Japanische Küche
Ein traditionelles Gericht der japanischen Küche sind Soba-Nudeln aus Buchweizen.
Kathrin Mey

Über die Autorin

Katrin May betriebt den Blog travelrundine.com und schreibt am liebsten über Ihre Steckenpferde Reisen, Laufen, Essen und Lesen.

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Gut zu wissen

Mitte April hat Japan Rail eine deutliche Verteuerung des Japan Rail Passes für Oktober 2023 angekündigt: