Foto: Robert Sturmhoevel, „Hänsel ohne Gretel“ 2023, Acryl auf Leinwand, 60 x 80 cm
Robert Sturmhoevel

Erzähler mit Pinsel

Text: Adrian Dinser
Fotos: Silke Blumenstein von Lösch
Illustration: Karina Dinser-Nennstiel
Der Maler Robert Sturmhoevel illustriert für den Passagier das Cover seiner Ausgabe 6. Herausgeber Adrian Dinser traf ihn zum Interview.
Der Passagier - Erzähler mit Pinsel

„Das Träumen an sich ist mit meiner Erzählstruktur gleich zu setzen“. Robert Sturmhoevel beginnt unser Gespräch gleich mit so einem Hammer. Und tatsächlich, seine Werke stellen zumeist Traumlandschaft ähnliche Sphären dar. Seine Philosophie ist Orte, Landschaften, Gesichter anzudeuten und vage zu belassen. Immer soll Freiraum bleiben, den der Betrachter mit seinen eigenen Assoziationen und Erfahrungen füllen kann. Und Sturmhoevel liefert sogleich ein Beispiel seines Publikums: Zeitaktuelle Entwicklungen holen sein Schaffen ein. So zeigen Bilder, Wüsten und Über­schwemmungen. Sie entstanden vor den extremen Klima­entwicklungen der jüngsten Vergangenheit und regen immer wieder an, die nackte Gegenwart in Sturmhoevels Kunst zu entdecken.

Der Passagier - Robert Sturmhoevel Atelier
Impressionen aus dem Atelier des Malers Robert Sturmhoevel.
Der Passagier - Robert Sturmhoevel - Ausflug
Ausflug, 2018 | Acryl auf Leinwand | 170 x 240 cm
Der Passagier - Robert Sturmhoevel - dozen dots
dozen dots, 2017 | Acryl auf Leinwand | 80 x 70 cm

Malen als Berufung

Robert Sturmhoevel, 1983 in Berlin geboren, sieht in der Malerei seine Berufung. Mit 15 Jahren testete er sich, erzählt er, zum ersten Mal im Medium Malerei. Und erkannte daraufhin ganz klar: „Das will ich! Malen!“ Er ließ einen sicheren Studienplatz in visueller Kommunikation sausen, um schließlich an der Kunsthochschule Kassel zu studieren. Das Medium schlechthin, wie er es beschreibt. Es wurde die Ausdrucksweise seines Schaffens, mit der sich die grenzenlose Vielfalt der künstlerischen Möglichkeiten manifestieren lässt. Trocken stellt er fest: „Film ist mir zu bewegt. Die Fotografie zu eingeschränkt.“ Mit einem kunsthistorischen Exkurs bringt er es auf den Punkt: Vor der Erfindung des Buchdrucks, in Zeiten geringer Alphabet­isierungs­raten stellte die Kirchenmalerei die einzige Sprache der Bildkommunikation dar. Also die einzige Möglichkeit visuell Geschichten zu erzählen.

Und das Erzählen nimmt Sturmhoevel ernst. Eben auf diese Weise visuell vielschichtiges Storytelling zu unternehmen, treibt ihn an. Verschiedenste Einflüsse der Gegenwart kumulieren sich in seinen Bildern – Social Media und popkulturelle Einflüsse nicht zuletzt. Seine Werke sind bedächtig konstruierte Bilder, in denen die Oberfläche den Betrachter in weitere Erzählschichten hineinzieht – nie zu konkret, immer traumhaft. Er bezeichnet seine Bildkompositionen als romanartiges Erzählen. Und je länger man seine Welten betrachtet, desto mehr bekommt man erzählt, erkennt die reine Freude die er am Erzählen hat. Das Lieblingsalter Sturmhoevels Protagonisten liegt übrigens meist um die sechs Jahre. Diese Kinder scheinen als Projektionsfläche zu dienen: ein Filter erwachsenen Sehens, der kindliche Unbeschwertheit in sich trägt. Dieser Filter legt sich über die Szenerien und ermöglicht dem Betrachter Teil des Beobachtens zu werden.

Der Passagier - Robert Sturmhoevel - lucky pink
lucky pink, 2023 | Acryl auf Leinwand | 110 x 80 cm

Obligatorische Frage des Interviewers, um die Ideen des Künstlers mit den eigenen Assoziationen abzugleichen: Welche Kollegen inspirieren ihn? „Edward Hopper, Gerhard Richter, Kaspar David Friedrich sowie die Spät-Romantiker, ah und Frieda Kahlo noch“, diese würden auch faszinierend erzählen. Und wichtig sei, dass Richter ein Vorbild sei, zu dem er aufsehe, keine Inspiration allein, mit der er sich nicht auf eine Ebene stellen könne. Nuancen aus Richters Schaffen fänden sich in Sturmhoevels wieder. Die „Dots“ zum Beispiel seien entfernt auf Richters Farbtafeln rückführbar.

Dots, die Malerei erzählen

Nun kennt der Interviewer Robert Sturmhoevel schon ein gutes Jahr. Die enge Illustrations-Arbeit am Passagier verbindet. Außerdem erlebte er den Künstler auf einer Vernissage und durfte mit ihm schon bei Gin Tonic bis tief in die Nacht über Kunst schwadronieren. Sturmhoevels Dots sind ihm somit unlängst bekannt. Diese hyperrealistisch gemalten Farbklekse fallen zwischen seinen traumhaften Landschaften heraus – und passen gleichzeitig konsequent auch zu seinem Arbeiten. Denn sie erzählen die Malerei und das Malen selbst: „Sie sind ein malerischer Gestus, den ich mir ausgedacht habe“, bemerkt er.
Aber ist dieser Mensch Sturmhoevel auch ein Maler, der sich als solcher stilisiert? Bis morgens in verrauchten Kneipen hängen und massenhaft Gin Tonic trinken, ist nicht nur ein ziemlich billiges Maler-Klischee, es ist alleine betrachtet auch ein völlig unzutreffendes, ja ein komplett falsches, das auf Sturmhoevel ganz und gar nicht zutrifft.

Der Passagier - Robert Sturmhoevel

Der Familienmensch

Tatsächlich kann man Sturmhoevel als Familienmensch bezeichnen. An dem Vormittag dieses Frühjahres, an dem wir ihn in seinem Kasseler Atelier besuchen, sind auch seine Frau und seine drei Kinder zugegen. Sein Sohn Benny, 6 Jahre alt, darf hin und wieder auch mit seinem Vater ins Atelier. So versinken Sohn und Vater in ihre jeweiligen eigenen Malprozesse. Benny eifere seinem Vater mit Stolz nach – von seinem Talent dürfen wir uns selbst überzeugen. Und sind nur mäßig davon überrascht. Die dreijährigen Zwillinge Clara und Pia, noch eher seltenere Atelier-Gäste, sind anfangs schüchtern, tauen allmählich auf und freunden sich mit Fotografin Silke Blumenstein von Lösch an.
Seine Frau Manuela ist dem Maler der Gegenpol, den der quirlige Berliner, der meist kaum in seinem Redefluss zu stoppen ist, schon seit einer halben Ewigkeit zu schätzen und lieben weiß. Und auch aus unzähligen Telefonaten entging es dem Interviewer nicht, welch zentrale Stellung die Familie in Sturmhoevels Leben einnimmt. Wohl das Einzige, das ihm wichtiger als die Malerei zu sein scheint. Außerdem ist er bemerkenswert uneitel. „Aus Mode mach ich mir nichts. Statussymbole brauche ich nicht“ sind Bekenntnisse, die keine Koketterie darstellen, sondern vielmehr seine wahre Haltung wiedergeben zu dem, was ihm wichtig ist.

Der Passagier - Robert Sturmhoevel - Kompositionsstudie
Kompsitionsstudie zum Cover von „Der Passagier - Ausgabe 6“.

Fernweh ist das Motiv

Derzeit arbeitet Sturmhoevel an einer Kleinserie von zehn Bildern, die alle das Motiv des Fernwehs gemein haben. Und da wir schon länger die Idee mit ihm spinnen, dass er das Passagier-Cover illustriert, ist dies nun genau der Anlass, nicht nur seine Illustrationen im Passagier zu platzieren, sondern auch eines seiner jüngsten Werke als Druck für die ersten 500 Exemplare der Passagier-Ausgabe 6 beizulegen. Denn was würde besser zum Magazin über das Zugreisen passen, als dem Wunsch des Reisens nachzufühlen. „Wo liegt die Quintessenz des Reisens – ein Ziel zu haben… einzukehren?“ Dieser Frage will Sturmhoevel mit der Serie nachgehen. Nach der Pandemie und einer langen Zeit des am Stück eingesperrt seins, ist dies nun für ihn das Nächstliegende. Und es geht nicht nur um das Reisen an sich, sondern auch um das Einkehren, das Unterwegssein, das Erspüren von Situationen zwischen Orten, sprich an Bahnhöfen.
Kurz darum, einen neuen Rahmen zu schaffen, der dezent gebaut wird, wie all seine Kompositionen. Erkennen lassen sich dabei Fragmente von Sehnsuchtsorten, die auf fiktive Weise zusammengestellt werden.
Platz für Assoziationen bleibt. Siehe oben. Sturmhoevel meint, das Vorhaben sei längst überfällig. Die konkreten Bild-Ideen trägt er schon länger mit sich, einige stammen auch aus jüngster Vergangenheit.
So zum Beispiel von einer Zugreise, die er neulich mit seiner Familie in den Schwarzwald unternahm.

Über den Künstler

Robert Sturmhoevel

Robert Sturmhoevel wurde 1983 in Berlin geboren. Er studierte an der Kunsthochschule Kassel und war Meisterschüler bei Prof. Johannes Spehr. Sturmhoevel ist unter anderem Gewinner des Kasseler Kunstpreises und in zahlreichen Privatsammlungen vertreten. Für weitere Informationen sehen Sie Sturmhoevels Website. Er wird unter anderem durch die Galerie Coucou in Kassel vertreten.


Weitere Infos zu Robert Sturmhoevel:
www.robertsturmhoevel.de
www.coucou-coucou.com

Zugreise-Leben als naturalistischer Idealismus

Als es um das Thema Zugreisen geht, bittet er um Entschuldigung. Das klinge jetzt zu kitschig, sei aber tatsächlich genauso. Ein Anflug von Eitelkeit? Das Zugreisen nutze er schon sein ganzes Leben und präge ihn. Es ermöglichte nicht nur zwei Jahre Fernbeziehung, sondern überhaupt auch erst das Kennenlernen seiner Frau, das auf Schultage zurückgehe. In Teenager-Jahren sei er zwölf Stunden in Regionalzügen zum ersten Date durch Deutschland gefahren, Fernzüge waren damals noch nicht im Budget. Später überlegten er und Manuela, ob sie nicht im Zug heiraten sollen, so sehr war ihr gemeinsames Leben von der Zeit unterwegs auf Schienen geprägt.
Und auch heute mit drei Kindern, stellen sich die Sturmhoevels keine entspanntere Reiseart als im ICE vor. In Kassel, in der Mitte Deutschlands lebend, sei schließlich auch alles in überschaubarer Zeit erreichbar. Und dann sagt Sturmhoevel noch, und dafür braucht er sich noch viel weniger vorweg entschuldigen:

Ich bin ein Eisenbahnmensch.

Unterwegs, berichtet er, komme er zur Ruhe. Und wenn man nicht 24/7 auf sein Smartphone starre, würde man so einiges beobachten können. So macht er es.
So macht es sein Sohn. Der ohne, dass es ihm langweilig werden würde, eine halbe Stunde mit ihm am Bahnhof beobachtend verweilen könne. Durch die Augen seines Sohnes würde er dann auch die Welt versuchen zu sehen, sich seine Welterfahrung aneignen, seinem Hinterfragen folgen. Woher kommt dieser Zug? Aus welcher Richtung kommt der nächste Güterzug? Warten die Reisenden auf ihren Anschluss? So ergäben sich automatisch Geschichten. Der Berufswunsch seines Sohnes ist übrigens:
ICE-Lokführer. Kein Kitsch. Nur die Wahrheit.

Ausgabe 6

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