Eine Fahrt durch die Vegetationen
Mit der U-Bahn nach Borgo
Meine Reise beginnt in der Hafenstadt Catania umgeben von einer Kulissen aus teilweise verfallenen, aber zugleich wunderschönen Häusern. Da der erste Teil der Strecke der Ferrovia Circumetnea durch eine der kürzesten U-Bahnstrecken der Welt ersetzt wurde, lege ich die acht Kilometer von Catania bis nach Borgo unterirdisch zurück. Am U-Bahnhof Nesima endet meine kurze Fahrt und ich wechsle in das gleichnamige oberirdische Bahnhofsgebäude, um mir zunächst eine Fahrkarte für die Ferrovia Circumetnea zu kaufen. Ich irre um das kleine rot angestrichene Bahnhofsgebäude, auf der Suche nach einem Automaten – doch vergebens. Ein Ticket, wie mir ein junges Mädchen erklärt, könne man während eines Zwischenstopps an einem der folgenden Bahnhöfe kaufen. Etwas merkwürdig kommt es mir vor, aber ich vertraue auf ihre Aussage.
Eisenbahnromantik der 80er
Nach einigen Minuten des Wartens rollt der Zug, ein grünweißer Dieseltriebwagen der Marke Fiat aus den 80er Jahren, in den Bahnhof ein. Die Fahrt beginnt. Ich erkundige mich beim vorbeikommenden Zugpersonal nach der nächsten Möglichkeit, ein Ticket zu kaufen und bin sichtlich erleichtert, als sich der Hinweis des Mädchens am Gleis bestätigt. An der Stazione Bronte könne ich mir eine Fahrtkarte ziehen. Der Bahnmitarbeiter erklärt weiter, dass dort sowieso die Fahrt mit einer längeren Pause unterbrochen werden müsste, um den Zug für die Weiterfahrt nach Randazzo zu tauschen.
Nachdem sich die Vororte von Catania lichten und die Gegend ländlicher wird, fällt mir die üppige Vegetation ins Auge – Obstplantagen und Kakteen mischen sich in die mediterrane Landschaft mit dem sonnenverbrannten, gelblichen Gras, Büsche voller Zitrusfrüchte fliegen am Fenster vorbei, im Hintergrund der rauchende Schlot des Etna.
Grüne Diamanten
In Biancavilla begeben wir uns wieder unter Tage und setzen unsere Fahrt durch einen langen, unterirdischen Tunnel fort. An der ersten Haltestelle komme ich schnell in den puren Genuss einer Diesellokomotive und ich reibe mir die Augen, die vom hereinziehenden Qualm gar nicht mehr zu tränen und brennen aufhören. Als wir nach zwei weiteren Stationen endlich wieder das Tageslicht erreichen und die drückende Luft durch frischen Wind verdrängt wird, kann ich wieder aufatmen und die vorbeiziehende Landschaft genießen. Es ist ein Spiel der Vegetationen, in dem sich Obstbäume mit schwarzbraunen Lavaböden und verbrannten Gräsern abwechseln. Am Streckenrand entdecke ich immer wieder Ruinen alter Bahnhofsgebäude und Reste ihres Anstrichs.
Erneut ändert sich die Vegetation und ich blicke auf kleine Hügel, seltsame und mir unbekannte Bäume und überall verteilte kleine Hütten und Häuser. Das Bild, das an mir vorbeizieht, ähnelt einer Mondlandschaft mit Pflanzen und Strukturen, die ich zunächst nicht zuordnen kann. Der Schaffner bringt Licht ins Dunkle und ich erfahre, dass es sich um Pistazienplantagagen handle. Er erzählt mir außerdem vom Pistazienfest, das jährlich im September in Bronte ausgetragen wird, um die Grünen Diamanten zu feiern.
Schließlich erreichen wir den kleinen zu Füßen des Vulkans gelegenen Ort Bronte. Hier endet unsere Fahrt zunächst und ich mache mich gleich auf zum nächsten Fahrkartenschalter, um nun endlich ein Ticket zu kaufen. Mit dem Ticket in der Hand beschließe ich, während meiner Wartezeit bis zur Weiterfahrt nach Randazzo die Umgebung zu erkunden. Um die Mittagszeit gleicht das kleine verschlafene Städtchen Bronte einer Geisterstadt und ich fühle mich wie in den Kulissen eines Westernfilms. Die unbehagliche und gespenstische Stille wird jedoch plötzlich durch einen ohrenbetäubenden Technosound unterbrochen. Die vermeintliche Ruhestörung erweist sich als willkommene Erfrischung in Gestalt eines alten Eiswagens mit einer etwas ungewöhnlichen Musikauswahl. Ich probiere eine Kugel ihrer Spezialität – Pistazieneis. Nach dieser leckeren Abkühlung weiß ich, warum die Bronteser die kleine grüne Steinfrucht als Diamanten bezeichnen.
Zwischen Leid und Leben
Zurück am Bahnhof steige in den ausgetauschten Zug, diesmal ein alter Dieseltriebwagen in beige mit zwei orangenen Streifen, in Richtung Randazzo ein. Am Ortsrand von Bronte zeigen sich noch einmal die Einflüsse des Etna und meterhohe, erkaltete schwarze Lavafelder und vereinzelte Häuserruinen formen das leidvolle und nahezu leblose Landschaftsbild. Die Stimmung schlägt schlagartig um, als die tote Umgebung durch ein sattes Grün, üppiges Pflanzenwachstum, grasgrüne Wiesen mit rot strahlendem Klatschmohn und weite Wälder ersetzt wird. Fasziniert von dem Facettenreichtum der Landschaft und den vielschichtigen Eindrücken meiner Fahrt erreiche ich schließlich mein Ziel. In der kleinen Stadt Randazzo lasse ich mich in einer Pizzeria nieder und genieße mit Blick auf alte Gassen und Kirchen eine Pizza aus dem Holzofen und ein gutes Glas Rotwein. Ich versuche meine Gedanken und die vielen Eindrücke zu ordnen und gehe im Kopf die Bilder der verschiedenen Landschaften durch. Zufrieden beiße ich in ein dampfendes Stück Pizza und weiß: Diese Reise durch das Land der vielen Vegetationen wird mir noch lange in Erinnerung bleiben und bestimmt nicht meine letzte gewesen sein.
Ferrovia Circumetnea
Bei der Ferrovia Circumetnea, kurz auch CFE genannt, handelt es sich um die letzte verbliebene Schmalspurstrecke der Eisenbahnen auf Sizilien. Die vom britischen Investor Robert Trewhella ab dem Jahr 1889 erbaute Eisenbahnstrecke hat eine Spurweite von 950 Millimetern und eine Länge von knapp 111 Kilometern. Die Strecke verbindet die Städte Riposto mit Catania auf der Rückseite des Vulkans Etna im Landesinneren. Der höchste Punkt der Strecke liegt bei 976 Metern über dem Meeresspiegel. Die FCE, die 300 Mitarbeiter umfasst, ist im Besitz von 21 Dieseltriebwagen, von denen zwölf Stück betriebsbereit sind und zwischen den 30 Stationen pendeln. Der Hauptverkehr findet auf der Strecke zwischen Catania und Randazzo statt.
Über den Illustrator
David Wood ist begeisterter Bahnfahrer und passionierter Zeichner aus dem Nordschwarzwald. Dieses Jahr feierte er einen großen Erfolg und brachte sein erstes Bilderbuch „Das Jahr im Weinbau“ heraus. Inspirationen für seine Illustrationen schöpft er aus seinen vielen Reisen, die er bereits unternommen hat. Neben Australien, China und Patagonien reiste David auch mit dem Nachtzug durch England, Schweden und Italien. Seine letzte Reise mit der Ferrovia Circumetnea fing der Hobby-Illustrator in detailverliebten und filigranen Zeichnungen ein.
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