Im Nachtzug nach Venedig
Schöne.« – Thomas Mann
Sie war stets da, diese Sehnsucht in eine Stadt zu reisen, von der immer nur geschwärmt wird und in der anscheinend auch alle Menschen schon gewesen sind – alle eben außer mir. Und ich weiß nicht, wann ich endlich aufgewacht bin. Aber es kann gut sein, dass es während dieser Szene im Film »Sideways« gewesen ist, in der Paul Giamatti in einem Schnellrestaurant sitzend, etwas aus seinem 1961er Château Cheval Blanc in einen Pappbecher gießt und daraus trinkt. Für einen solchen Wein braucht es keinen besonderen Anlass, der Wein ist Anlass genug.
Und genauso ist es mit Venedig. Man braucht keinen Grund, um dorthin zu fahren, denn es ist, im Gegensatz zum Wein, ja auch weiterhin da und man kann, wenn es tatsächlich einmal einen besonderen Anlass gibt, einfach noch einmal hinfahren. Das hätte – aus rein praktischen Erwägungen – sogar den Vorteil, dass man sich schon etwas auskennt. Aber natürlich denkt man nicht so von seinem Sehnsuchtsort.
Blick auf den Markusturm (o.l.), Bahnhof Santa Lucia (u.l.), Blick vom Sestiere Castello zum Markusplatz (r.)
Nachtzug in die Lagunenstadt
Der Tag der Reise war gekommen. Heiligabend vorüber, aber die ganze Welt noch in dieser besonderen Stimmung. Weniger hektisch, denn die Zeit der Geschenke war verstrichen, aber trotzdem noch immer feierlich. Und natürlich war der Bahnhof voll, da es in fast allen Familien dieses jährliche Dilemma des wer-darf-wen-denn-wann-besuchen gibt. Ich selbst fühle mich wie ein Pennäler vor der ersten Klassenfahrt. Und wie absurd mir das vorkommt, denn ich bin es gewohnt zu reisen, ja, ich reise fast wöchentlich irgendwohin, ganz oft mit der Bahn.
Und trotzdem diese Unruhe. Das muss der Nachtzug sein, denn es ist wirklich ein wenig, wie auf einer Klassenfahrt. Nur, dass man seine Klassenkameraden eben noch nicht kennt. Und vielleicht bin ich deswegen tatsächlich etwas aufgeregt. Wer wird das Abteil mit mir teilen? In den Schlafwagen wird nach Geschlecht oder Familie unterteilt. Bei den Liegewagen hingegen gibt es keine Trennung und der Zufall oder die Größe der Reisegruppe entscheiden.
Aber einmal im Zug ging dann alles ganz schnell. Wir hatten zwar noch reichlich Zeit, bis es losging – man ist angehalten, etwa 30 Minuten vor Abfahrt im Waggon zu erscheinen –, aber trotzdem musste ja noch jeder seine Liege oder sein Bett vorbereiten. Die Plätze waren zum Glück längst im Ticket vermerkt, sodass es hier nicht zu albernen Streitereien kam und man sich skeptisch-freundlich zusammenfand und schnell arrangierte. Ich hatte Glück und es war nur ein etwa gleichaltriges Paar in unserem 5er-Abteil, sodass wir reichlich Platz hatten und ich die oberste Etage für mich alleine…
- Über die ganze Nachtzugreise nach Venedig lesen Sie in: Ausgabe 2 von „Der Passagier“
Über den Autor
Klaus Kurre ist schon sein Leben lang auf Achse und hat es immer geliebt Bahn zu fahren, weil man alles machen kann. Vor allem Lernen und Schreiben, denn es wird permanent souffliert. Jede Zugfahrt ist eine Geschichte und man muss sie nur greifen.
Die Bilder von Klaus Kurres Nachtzugreise erschienen auch als Kalender (2022). Format A4 hochkant, gedruckt auf mattem Premiumpapier. Alle Fotografien wurden mit einer Leica D-Lux (Typ 109) aufgenommen.
Mehr Informationen und Bestellung über:
Im Nachtzug nach Venedig | KURRE.DE – Klaus Kurre
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