Warum Hamburg ein ideales Zugreise-Ziel ist
Manche Städte offenbaren sich bei jedem Besuch wieder neu. Sie begrüßen einen mit ihrem wohlvertrauten und geliebten Flair, überraschen dabei aber gleichzeitig mit unerwarteten Facetten. Auf Hamburg trifft dies ganz besonders zu.
Die stolze, schöne, altehrwürdige Hansestadt ist großzügig mit frischen Anblicken. Als echte Hamburger Deern sollte ich meine Geburtsstadt gewöhnt sein, doch bei jedem Kehrwieder-Besuch bin ich neu in sie verliebt. „Das Tor zur Welt“ nennt sich die Hafenstadt, doch wie eine treue Seemannsbraut belohnt sie jene, die hinausgesegelt sind und zu ihr zurückkehren.
Das Tor-zur-Welt-Gefühl
Zugreisende erleben das Tor-zur-Welt-Gefühl sofort bei der Ankunft, ganz wie Matrosen am Hafen. Der Hauptbahnhof, ein prächtiger Jugenstilbau von 1906 mit Renaissance-Fassade, ist eine Sehenswürdigkeit für sich – und wuseliger als jeder Ameisenhaufen. Mit 537.000 Reisenden pro Tag (2019) zählt er zu den meistfrequentiertesten Bahnhöfen Europas. Er ist (anders als die Zumutung in Berlin) ein Hauptbahnhof, der diesen Namen verdient, der zentrale Knotenpunkt des Nah-, Regional- und Fernverkehrs im Herzen der Millionenstadt. Von hier rattert man direkt überall hin, ob nach München, Zürich, Kopenhagen oder zur S‑Bahnhaltestelle Reeperbahn.
Touristen und Einwohner eilen durch die gläserne, fast 40 Meter hohe Halle, rufen sich Gleisnummern in allen Sprachen zu. Vor den Bäckereien stehen Schlangen von Exil-Hamburgerinnen, die nach lang entbehrten Original-Franzbrötchen lechzen.
Kunst von Weltrang
Am Hauptbahnhof liegen auch einige der wichtigsten Einkaufsmeilen, die Spitaler- und die Mönckebergstraße, und, für mich interessanter: großartige Museen! Die berühmte Hamburger Kunsthalle etwa versammelt Werke von Weltrang aus sieben Jahrhunderten, sakrale Malerei der Alten Meister wie Meister Francke, Rubens und Rembrandt, Werke von Caspar David Friedrich, Max Liebermann, Monet, Manet und Rodin, von Lovis Corinth, Max Ernst, Paul Klee, Pablo Picasso, bis hin zum neuen Lichtkunstwerk I don’t believe in dinosaurs. von Moritz Frei auf dem Dach der Galerie der Gegenwart.
Kaiser und Blumen
Oft steige ich aber stattdessen am Bahnhof Dammtor aus. Auch er ist ein Prachtstück, immerhin wurde er als Paradebahnhof für Staatsbesuche konzipiert. Bei der Eröffnung 1903 war Kaiser Wilhelm II. dabei. Sein Onkel, Großbritanniens King Edward VII, stieg in der Jugendstilhalle aus, der Kaiser von Äthiopien, der Schah von Persien und etliche Königinnen, darunter Queen Elizabeth II.
Wegen des nahen Kongresszentrums CCH ist er auch als „Messebahnhof“ bekannt und trägt, weil hier die Uni Hamburg liegt, den Beinahmen „Universität“. Noch ein „Tor zur Welt“ also.
Er ist auch das Tor zu einer meiner blühenden Lieblingswelten: Planten un Blomen („Pflanzen und Blumen“ auf Plattdeutsch) in den historischen Wallanlagen. Ein Juwel dieser facettenreichen Parkanlagen ist der Japanische Garten, der größte in Europa. In den Gewächshäusern des Botanischen Gartens wachsen, wie es sich für eine von Händlern gestaltete Hansestadt gehört, tropische Nutzpflanzen wie Kakao, Kaffee und Tee. Ein romantischer Klassiker sind die sommerabendlichen Licht- und Wasserspiele am See. Die Wasserlichtorgel von 1973 wurde 2019 technisch auf den neuesten Stand gebracht.
Bummeln unter Arkaden
Am Dammtorbahnhof beginnen außerdem die Colonaden. Hier treffe ich mich gerne mit Freunden zum Spaziergang durch die Innenstadt. Die Einkaufsstraße mit ihren prächtigen Gründerzeithäusern und den italienisch anmutenden Arkaden, in deren Schutz wir auch bei „Schietwetter“ (Regen) trocken bleiben, wurde um 1880 von Kaufleuten als Verbindung zum Jungfernstieg angelegt. Heute ist sie eine Fußgängerzone mit Straßencafés, Restaurants und edlen Fachgeschäften, die sogar Shopping-Muffel wie mich zum Schaufenstergucken animieren.
Beim Auktionshaus und Juwelier Edmund Arnold bewundern wir antike Silber-Teekannen und Art-Deco-Schmuck. Vor Pfeifen Tesch, seit 1880 Hamburgs feinstes Tabakwarenfachgeschäft, bleiben auch Nichtraucher stehen, gefesselt vom altehrwürdigen Flair und der riesigen Auswahl an Zigarren aus fernen Ländern und Pfeifen, die auch mal einen vierstelligen Betrag kosten können. Rum- und Whiskey-Sorten ergänzen die lasterhaft-gepflegte Auslage. Antiquitätenhändler, Boutiquen und Geschäfte für maßgeschneiderte Kleider oder Schuhe säumen die Straße.
Understatement am Rathaus? Nö.
Und schon stehen wir am Jungfernstieg. Den Blick auf die Binnenalster mit ihrer Fontäne, den Alsterdampfern, Möwen und Schwänen würdigen wir bei einem Eis vom Warneke-Kiosk auf einer der vielen Bänke am Wasser. Dann bummeln wir zu den historischen Alsterarkaden am Alsterfleet. Sie entstanden nach dem Großen Brand von 1842, dem auch das alte Hamburger Rathaus zum Opfer fiel: Es wurde gesprengt, um das Feuer aufzuhalten. Das heutige Rathaus von 1897 gehört zu den prächtigsten Bauten der Stadt. Das Innere beeindruckt mit Säulen, Gemälden, Glasfenstern und schweinsledernen Tapeten des Künstlers Georg Hulbe. Möglich ist die Besichtigung nur mit Führung (Info‑Telefon: 040 42831‑2470). Auch ohne zugänglich ist der Innenhof mit seinen reich dekorierten Fassaden im Stil der norddeutschen und italienischen Renaissance und dem großen Hygieia-Brunnen.
Alsterdampfer und stolze Schwäne
Shopping-Fans wollen dann immer in das berühmte Alsterhaus, die Edel-Läden und Einkaufspassagen der Große Bleichen oder in den Alsterarkaden. Ich sitze lieber am Alsterfleet und huldige den Schwänen. In Hamburg haben diese Vögel, früher Statussymbol adeliger Herrscher, seit Jahrhunderten eine besondere, geradezu abergläubische Bedeutung.
Solange Schwäne auf der Alster sind, bleibt Hamburg eine freie und blühende Hansestadt, heißt es.
Seit mehr als 400 Jahren stehen sie per Mandat unter Schutz und werden auf öffentliche Kosten betreut und gefüttert. Das Amt des Schwanenvaters, der die Tiere auch jedes Jahr in ihr Winterquartier bringt, gibt es seit 1674. Es ist die älteste Behördenplanstelle der Stadt. Die Vögel gucken, als würden sie ihren Sonderstatus kennen.
Eine Fahrt mit dem Alsterdampfer finde ich immer wieder schön. Vom Jungfernstieg schippern wir zum Zuhause von Udo Lindenberg: Das „Hotel Atlantic“, wo er seit 1995 wohnt, liegt an der großen Außenalster, auf der die Segelschiffe durch die Sturzwinde der Häuserschluchten sausen und an der ich gerne spazieren gehe. Besonders romantisch ist eine Rundfahrt mit dem historischen Dampfer „St. Georg“ von 1876, Teil der weltweit ältesten Dampfschiff-Flotte.
Schöne Schiffe und die „Elphie“
Für den Hamburger Hafen nehme ich mir immer mindestens einen Extra-Tag Zeit. Zu schön ist es, ohne auf die Uhr zu sehen, an den Landungsbrücken herumzuschlendern, an Bord des Museums-Frachtseglers Rickmer Rickmers zu gehen, sich in der historischen Speicherstadt (Unesco-Erbe) ein wenig zu verlaufen, das Gewürzmuseum zu besuchen, sich in Harrys Hafenbasar über die Kuriositäten zu wundern und in irgendeinem Teppich-Lager einen Tee zu trinken. Eine Hafenrundfahrt per Schiff muss sein, schließlich bin ich jetzt Touristin!
Grandiose Rundum-Panorama-Blicke über Stadt und Hafen bietet die Plaza, die öffentliche Aussichtsplattform der neuen Elbphilharmonie. Unsere „Elphie“ – was haben wir gespottet über das endlos teure Protzprojekt, das 2017 endlich eröffnet wurde! Nun lieben wir sie.
Schon die Hinfahrt ist wundervoll, mit der Fähre (Linie 72) von den Landungsbrücken mit Kurs auf das funkelnde, 110 Meter hohe Konzerthaus. Der Besuch der Plaza kostet nichts, nur damit es nicht zu voll wird, muss man sich vorab ein Ticket holen.
Wenn ich am Ende meiner Hamburg-Reise wieder in den ICE nach Berlin steige, meinem derzeitigen Heimathafen, fällt mir das Abschiednehmen schwer. Gleichzeitig freue ich mich auf die Zugfahrt, die landschaftlich besonders reizvoll ist – davon berichte ich ein andermal. Und ich weiß, ich komme wieder. Betrachte das Tor zur Welt mit neuen Augen und verliebe mich ein weiteres Mal.
- Weitere Infos zur Autorin Maike Grunwald auf maikegrunwald.com