Im Herzen von Europas nordischer Wildnis
Die Berliner Fotografin Vera Landmann (r.) beobachtet und fängt stimmungsvolle Szenen im Alltag und auf Reisen ein – geprägt von leuchtenden Farbkontrasten und Schattenspielen.
Schon seit ein paar Tagen zeigt sich Kiel von seiner schönsten Seite: Sonne satt, ja fast schon ein Hauch von Frühling, der all die wolkenverhangenen Wochen schnell zur vagen Erinnerung werden lässt. Ich fülle Kaffee in meinen Thermobecher, kontrolliere die Tickets, wische den Matsch des letzten Regens von meinen Stiefeln ab. Sieht man mir an, dass ich verreise? Zwei Männer stehen eilig von ihren Sitzen auf, als ich meinen sperrigen Rucksack durch den Gang der Regionalbahn nach Hamburg bugsiere. Das tut nicht Not, sage ich. Doch, doch, man steige eh gleich aus. Mein Lächeln wird breiter.
Nach knapp zwei Stunden Fahrt, die typischen Baustellen und Halte inklusive, komme ich in der Hamburger Wandelhalle an. „Daria?“ Ich habe Vera seit der Schulzeit nicht mehr gesehen. Und doch ist irgendwie kaum Zeit vergangen. Wir stehen uns gegenüber, in dicke Wintermäntel gehüllt und mit mehr Gepäck, als es vier Arme tragen können. „Kannst du es glauben?“ „Nein, du?“ Strahlend umarmen wir uns zur Begrüßung…
Die Anreise
Von Hamburg fuhren wir über Kopenhagen und Hässleholm nach Stockholm – so war zumindest der Plan. Denn schon standen wir in Kopenhagen am Bahnhof, während man uns aufgrund eines verpassten Anschlusses beinahe ein Hotel für die Nacht buchte. Das wäre es gewesen! Zu später Stunde und mit der letzten Verbindung klappte es dann doch: Nach Mitternacht stiegen wir in Hässleholm in den ersten Nachtzug unserer Reise. Auf ging es in die schwedische Hauptstadt.
... 17 Stunden im Nachtzug in den arktischen Norden
Guten Morgen, Stockholm! Am Ende des Bahntunnels färbt die aufgehende Sonne den Himmel lila, als wir unsere Gepäckstücke auf einen noch menschenleeren Bahnsteig befördern. Die schwedische Hauptstadt startet gemächlich ins Wochenende und auch wir lassen uns für ein paar Stunden treiben, bevor uns die Einfahrt des nächsten Nachtzuges, der uns in 17 Stunden nach Kiruna bringen wird, zurück an den Stockholmer Hauptbahnhof zieht. Der Vy Nattåg 94 ist ein Koloss von Zug, recht klobig und eckig, ganz so, wie man sich eine den nordischen Witterungen trotzende Eisenbahn vorstellen würde. Das Nachtzugabteil – bis zu drei Personen finden in den Etagenbetten Platz – wirkt klein und überraschend geräumig zugleich. Noch ist das mittlere Bett hochgeklappt und das untere zur Sitzbank umfunktioniert…
Zwischenstopp in Stockholm
Bei mehr als 30 Stunden Fahrt von Hamburg bis in die nördlichste schwedische Stadt Kiruna lässt sich die Reise perfekt mit einem Tagesausflug, bei etwas Zeit sogar einem längeren Aufenthalt in Stockholm verbinden. Wir haben den Tag genutzt, um zu Fuß durch die Straßen zu laufen, während die Wochenendsonne die Hauptstadt langsam zum Leben erweckte, in einem Café im hippen Stadtteil Kvarteret Nattugglan zu frühstücken, am Wasser entlang zu spazieren und Kanelbullar mit Aussicht aufs Stockholmer Schloss zu schnabulieren. Das Gepäck lässt sich derweil problemlos in einem der Schließfächer am Bahnhof verstauen.
... Ankunft in der nördlichsten Stadt Schwedens
Am nächsten Morgen: diesige Wolkenschleier, erste, goldene Sonnenstrahlen und eine weiße Schneelandschaft mit weiten Feldern, sanften Tälern und mehr Birken, als wir jemals zählen könnten. Mit nur fünfzehn Minuten Verspätung fährt der Nachtzug um 9.30 Uhr in Kiruna ein. Wir sind da – angekommen in Schwedisch Lappland, rund 200 Kilometer über dem nördlichen Polarkreis, knapp zweieinhalbtausend Kilometer von Hamburg entfernt.
Kiruna – auf dem „i“ betont, das „r“ gerollt, wie wir der Ansage unseres Schaffners entnehmen – ist bekannt für das weltweit größte Eisenerzbergwerk, das die Stadt in den letzten Jahren so weit unterhöhlt hat, dass ein Teil des Stadtzentrums bis 2035 versetzt werden muss. Zu Fuß folgen wir der vereisten Straße bergauf in Richtung des Camp Ripan. Ein Fehler, den wir erst bemerken, als wir bereits in einer Sackgasse stehen, von der bloß ein schmaler, in den Schnee getrampelter Pfad weiterführt. Gerade teste ich die Strecke aus und wäge ab, ob wir Veras Koffer wohl bis zur nächsten Rodelpiste hieven können, als Hilfe naht. Sie habe uns aus dem Fenster ihrer Wohnung beobachtet, erklärt Annemarie und zeigt erst auf die Häuser und dann auf eine Reihe von Autos und uns. In dieser chaotischen Welt tue es gut, anderen Menschen zu helfen. Ich schiebe eine verlorene Haarsträhne zurück unter die Mütze und blicke in die weichen Gesichtszüge dieser lächelnden Frau, die uns tatsächlich nicht auszulachen scheint…
Zu Fuß durch Eis und Schnee
So erkennt man deutsche Nordlichter in Schweden. Dass ein Weg, der im Sommer problemlos als Fußweg fungiert, im Winter als solcher nicht mehr existieren könnte, kam uns so spontan nicht in den Sinn, sodass ich diesen Tipp nun mit einem Schmunzeln an Sie, liebe Leserin, lieber Leser, weitergeben kann:
Achten Sie im nordischen Winter auf die Feinheiten der Navigation – besonders dann, wenn Sie wie wir zu Fuß unterwegs sind.
Von einer Übernachtung im sensationellen Icehotel über Einblicke in die reiche Geschichte der nordischen Ureinwohner Europas bis hin zu sagenhaften Naturerfahrungen und tanzenden, grünen Nordlichtern:
Was wir auf unserer Reise durch Schwedisch Lappland erlebten, lesen Sie in der 5. Ausgabe von Der Passagier – “Lichtermeer“.
Per Zug zum Polarkreis!
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